Claude Piron

12 Antworten für den,
der sich für Esperanto interessiert


Inhalt


1. Was ist Esperanto?
2. Wie viele Menschen auf der Welt sprechen Esperanto?
3. Englisch ist schon die internationale Sprache. Brauchen wir wirklich eine neue Sprache?
4. Ist es möglich, eine lebende Sprache ohne Nation und ohne Staatsgebiet zu haben?
5. Soll Esperanto alle bestehenden Sprachen estatten?
6. Ist die breite Einführung des Esperanto nicht eine Utopie? Die Idee wirkt unwahrscheinlich.
7. Wir erleben heute ein wachsendes Interesse an Dialekten. Steht das nicht im Widerspruch zur Idee des Esperanto?
8. Wird nicht jedes Volk Esperanto auf seine Weise nutzen, so dass dadurch die Sprache zerfällt?
9. Ist Esperanto nicht eine künstliche Sprache und daher unnatürlich?
10. Warum äussern sich hervorragende Linguisten negativ über Esperanto?
11. Eignet sich Esperanto für Diskussionen auf hohem Niveau, für Poesie und für den Ausdruck von Gefühlen?
12. Warum sollte man Esperanto lernen? Wie kann man die Sprache benutzen?



1. Was ist Esperanto?


Esperanto ist ein nützliches Kommunikationsmittel für Leute ohne gemeinsame Sprache.


Die Welt wird immer internationaler. Menschen, Geld und Waren bewegen sich immer freier. Weil aber die Menschen unterschiedliche Sprachen, die schwer zu erlenen sind, sprechen, können Gedanken sich nicht ganz frei bewegen. Esperanto ist eine Lösung, die ausserordentlich gut die Sprachbarrieren überbrückt. Wer Esperanto lernt, sagt gleichzeitig, dass er sich der Welt öffnet.


2. Wie viele Menschen auf der Welt sprechen Esperanto?


Ausreichend viele, um schon heute das Gefühl eines wirklich bestehenden internationalen Gemeinwesens erleben zu können. Leider gibt es keine Möglichkeit, zu wissen, wie viele Leute Esperanto beherrschen, ebenso wie es keine Möglichkeit gibt, zu wissen, wie viele Latein können oder - ausserhalb von China - chinesisch. Die Zahl liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen 50ooo und zwei Millionen. Auf alle Fälle sind diejenigen, die Esperanto sprechen, überal auf diesem Planeten verteilt und zahlreich genug, um eine wachsende internationale Kultur zu leben zu lassen.


3. Englisch ist schon die internationale Sprache. Brauchen wir wirklich eine neue Sprache?


Neue Kulturen schaffen neue Sprachen. Die internationale Kultur ist da keine Ausnahme.


Das Englische ist eine wunderbare Sprache, ganz genau wie jede andere Sprache wunderbar ist im Rahmen ihrer Kultur. Trotzdem, ist sie wirklich "international"? Drei Anregungen zum Nachdenken:


A) Keine der vielen internationalen Organisationen oder Regierungsinstitutionen (wie die Vereinten Nationen, die EU oder Interpol) benutzen ausschliesslich Englisch; gleiches gilt für die Mehrzahl der internationalen Nichtregierungsorganisationen. Tatsache ist, dass sowohl die Vereinten Nationen als auch die EU mehrfach gezwungen waren, die Zahl der offiziellen Sprachen zu erhöhen.


B) Die Meinung, Englisch könne man überall auf der Welt sprechen, ist eine Wunschvorstellung. Ein Besuch in Südamerika, in Teilen Afrikas, wo man u.a. Französisch spricht, in Russland, China, Japan usw. zeigt deutlich, dass es sich wirklich um eine Illusion handelt, sobald man versucht, mit Menschen ausserhalb der großen Hotels, Fluggesellschaften usw. zu kommunizieren. Sogar in Europa ist es oft nicht möglich, Englisch zu sprechen; und wenn es möglich ist, ist normalerweise das Spektrum der möglichen Themen begrenzt.


C) Viele Japaner und Chinesen lernen Englisch 10 Jahre lang in der Schule, trotzdem ist der größte Teil später nicht in der Lage, es zu sprechen. Und nur sehr wenige Europäer können auch nach langjährigem Studium des Englischen die gleiche Fertigkeit wie ein muttersprachlicher Engländer erreichen.


4. Ist es möglich, eine lebende Sprache ohne Nation und ohne Staatsgebiet zu haben?


Ja. Unmöglich ist eine lebende Sprache ohne Gemeinschaft, die sie nutzt, liebt und pflegt, aber diese Gemeinschaft kann durchaus etwas anderes sein als ein Volk und sich weit verbreitet auf der Erde befinden. Latein war im Mittelalter eine lebende Sprache ohne Volk: Professoren aus Cambridge, Köln oder Prag unterrichteten in Paris auf lateinisch, und alle empfanden das als normal. Die Gemeinschaft der Esperanto-Nutzer ähnelt in mancher Beziehung einem Volk, dem Menschen aus allen Völkern angehören. Menschen, die sich ihre Eigenart bewahren, ihr aber eine neue, "gesamtmenschliche" Identität hinzufügen. Man könnte sagen, dass Esperanto ein "Volk" hat, eines, das das mögliche Volk des Gesamtplanetens ist.


Nicht die Hautfarbe oder die Frühstücksgewohnheiten geben einer Sprache Leben, sondern der Wunsch, zu kommunizieren. Diesen Wunsch gibt es, das zeigt das Internet, das in den vergangenen Jahren explosionsartig gewachsen ist. Diese Entwicklung ist möglich auf Grund der Tatsache, dass man überein gekommen ist, dass Computer die gleichen Kodierungen, also die gleiche Sprache benutzen sollen, unabhängig von der Frage, ob sie aus der Welt des Macintosh, Windows oder Linux kommen. Diese Entwicklung ist vollkommen logisch. Warum sollte die gleiche Logik nicht auch für Menschen mit verschiedenen Kulturen und Sprachen gelten?


5. Soll Esperanto alle bestehenden Sprachen estatten?


Überhaupt nicht. Esperanto ist ein Verfechter des Existenzrechts jeder Sprache.


Einer der großen Vorteile von Esperanto ist es, keine nationale Sprache zu sein, sondern eine Sprache, die Angehörige verschiedener Sprachgruppen benutzen, um Meinungen oder Gedanken auszutauschen oder um ihre Gefühle auszudrücken. Esperanto steht also nicht in Konkurrenz mit nationalen oder lokalen Sprachen, sondern leistet im Gegenteil seinen Beitrag zur Abschaffung der sprachlichen Unterdrückung, wie sie in verschiedenen Formen auf der Welt anzutreffen ist.


Darüber sind unmittelbare, persönliche Kontakte mit Angehörigen anderer Kulturen wahrscheinlich die beste Möglichkeit, die Vielfalt von Menschen und Kulturen um uns kennenzulernen und als Bereicherung zu erleben. Solche Erfahrungen vergrößern oft den Wissensdurst und das Interesse an anderen Sprachen und Kulturen.


Viele erleben durch das Erlernen des Esperanto eine Steigerung ihres Selbstwertgefühls - "Ja, ich schaffe es, eine fremde Sprache zu lernen!" - und nicht wenige von ihnen fangen später an, eine nationale oder lokale Sprache zu lernen. Viele Esperantisten interessieren sich nicht nur für Esperanto, sondern auch generell für fremde Sprachen und Kulturen.


6. Ist die breite Einführung des Esperanto nicht eine Utopie? Die Idee wirkt unwahrscheinlich.


Jeder wichtige und nützliche Fortschritt ist die Verwirklichung einer Utopie. Nur wer schon die zukünftige Entwicklung kennen würde, könnte sagen, ob etwas utopisch ist oder nicht. Aber wer hat z. B. im Mai 1989 den Fall der Berliner Mauer und den Zerfall der Sowjetunion vorhergesehen? Natürlich kann niemand Dinge mit Sicherheit vorhersagen. In vielen Zukunftsromanen würde es bestimmte komplizierte Situationen nicht gegeben haben, wenn die Figuren Handys gehabt hätten. Die sind heute Alltag, aber die Autoren dieser Romane haben nicht an diese Möglichkeit gedacht. Ist nicht auch die technische Entwicklung in der Welt eine große "Utopie", die Wirklichkeit geworden ist und weiterhin wird?


Heute ist Esperanto viel mehr als eine Utopie. Die Sprache stellt ein tatsächliches, wirkungsvolles Angebot dar, das Ergebnis des über 120-jährigen Gebrauchs auf allen Kontinenten und in allen Lebenslagen.


Die Probleme der sprachlichen Kommunikation, wie wir sie unter internationalen Bedingungen erleben, bedürfen dringend einer Lösung. Manche Leute meinen: "Das war immer ein Problem und wird immer eines bleiben." Aber in der Geschichte finden wir im Überfluss Beispiele für gelöste Probleme. Ist es denn so undenkbar, auch dieses Problem zu lösen?


Eigentlich ist es für viele Esperantisten gar nicht wichtig, ob irgendwann Esperanto allgemein eingeführt wird oder nicht. Sie genießen einfach die Sprache und die mit ihr verbundene weltweite Gemeinschaft, z. B. durch Korrespondenz, auf Reisen oder beim Musizieren.


7. Wir erleben heute ein wachsendes Interesse an Dialekten. Steht das nicht im Widerspruch zur Idee des Esperanto?


Paradoxerweise führt das neue Interesse an Dialekten in die gleiche Richtung wie das Interesse an Esperanto.


Dialekte sind oft besser geeignet, Gefühle auszudrücken und Umstände zu beschreiben, die speziell an eine lokale, manchmal sehr kleine, Gemeinschaft gebunden sind. Genauso ist die internationale Sprache Esperanto am besten geeignet, das auszudrücken, was weder einer nationalen noch einer dialektgebunden Kultur zuzuordnen ist, sondern was allen Menschen gemein ist. Ideal wäre, wenn jeder drei Sprachen und Identitäten hätte: die lokale, die regionale/nationale und die weltweite. Die Erfahrung zeigt, dass diese ohne Schwierigkeiten miteinander in Einklang stehen können. Ein Einwohner in Colmar in Frankreich, der zu Hause den germanischen Elsässer Dialekt spricht, die Nationalsprache Französisch beherrscht und darüberhinaus Esperanto für seine weltweiten Kontakte benutzt, fühlt sich gleichzeitig als Elsässer, Franzose und Weltbürger und hat wahrscheinlich ein reicheres kulturelles Leben als ein Franzose, der nur französisch spricht.


8. Wird nicht jedes Volk Esperanto auf seine Weise nutzen, so dass dadurch die Sprache zerfällt?


Wenn Sprachen zerfallen, ist das ein Zeichen, dass die Bevölkerungsteile den gegenseitigen Kontakt nicht aufrechterhalten wollen oder können. Das Latein wurde in einem äusserst umfangreichen Bereich während mehrerer Jahunderte, in denen es einheitlich blieb, gesprochen. Erst nach dem Untergang des Römischen Reiches und dem Abbruch der Verbindungen zerfiel es in Dialekte und gebar seine Nachfolgesprachen.


Die technische Entwicklung hat die Frage, ob wir gegenseitige Kontakte haben können, schon beantwortet - Satelliten, Computernetzwerke, Handys, Medien, Eisenbahnen, Flugzeuge, Autos...Und Esperanto ist in sich schon ein starker Ausdruck dafür, dass die Menschen den direkten gegenseitigen Kontakt wirklich suchen.


9. Ist Esperanto nicht eine künstliche Sprache und daher unnatürlich?


Jede Sprache ist das Ergebnis der menschlichen Schaffenskraft. Viele Dinge oder Geschöpfe, die wir als natürliche Ansehen - wie Brot, Rosen, Schweine, Hunde - sind tatsächlich genauso das Ergebnis der Anwendung menschlicher Schaffenskraft auf die Natur.


Die grundlegende Struktur des Esperanto enstand durch Auswahl und Verfeinerung von Elementen, die die Entwicklung in verschiednen "natürlichen" Sprachen hervorgebracht hatte. Demzufolge erlebt der Benutzer dieser Sprache das Esperanto als vollkommen natürlich. Dieser Eindruck der Natürlichkeit ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass Esperanto stärker als die Mehrzahl der anderen Sprachen dem natürlichen Bestreben des menschlichen Gehirns entgegenkommt, Bedeutungenszeichen für die ganze Sprache zu verallgemeinern. In vielen Sprachen gibt es ein besonderes Wort für die Idee "besser". Aber Kinder dieses Sprachraums können anfänglich den zweiteiligen Ausdruck "mehr gut" benutzen, weil sie den Begriff "mehr" anderweitig bemerkt haben und ihn auch auf den Begriff "gut" anwenden. Nur die Berichtigung durch die Eltern und Lehrer oder der Wunsch, die Umgebung bestmöglich nachzuahmen bringt sie dazu, diese natürliche Form durch die richtige, normgerechte Form in der jeweiligen Sprache zu ersetzen. Genauso ist es bei abderen Unregelmässigkeiten. Es gibt Sprachen, in denen man für den Ausdruck "nahm" nicht die regelmässige Beugung nimmt, sondern den Vokal innerhalb des Verbs ändert. Auch in diesem Fall stellt man fest, dass Kinder oder Ausländer ganz natürlich anfänglich die regelmässige Beugung benutzen, um das Imperfekt zu bilden und nicht sofort die unregelmässige Form anwenden. Solche Schwierigkeiten sind im Esperanto sehr viel seltener.


Ein bemerkenswerter Umstand bei der "Geburt" des Esperanto ist die Tatsache, dass es dem Gründer der Sprache (L.L. Zamenhof) gelungen ist, Bedingungen zu schaffen, die ermöglichten, dass sie etwas Lebendes werden konnte, sobald verschiedene Menschen sie gebrauchen würden, um einfach und praktisch miteinander zu kommunizieren. Das geschah, und der Gebrauch machte aus dem Projekt eine lebende Sprache. Was ein unbekannter Augenarzt in Warschau im Jahre 1887 in Form einer Broschüre in die Welt setzte, war nicht mehr als ein Samen. Aber einer, der auf nahrhaften Boden (nämlich Menschen, die sich nach einer Sprache sehnten, mit deren Hilfe sie über die Sprachgrenzen hinweg würden kommunizieren können) fiel und auf diesem Boden zu einer lebenden Sprache heranwuchs.


Obwohl der "Samen" des Esperanto von nur einer Person gesät wurde, entwickelt sich die Sprache, wie andere Sprachen auch, durch den Gebrauch. Trotz der Tatsache, dass die Grundlage immer die gleiche bleibt (Sie wird im Buch Fundamento de Esperanto {Grundlage des Esperanto} dargelegt.), weist die Sprache heute viele Wörter und Ausdrücke auf, die vor 100 Jahren nicht in ihr vorhanden waren. Esperanto wurde und wird dauernd bereichert. Die Akademio de Esperanto (Esperanto-Akademie) beobachtet und dokumentiert die Entwicklung des Esperanto.


10. Warum äussern sich hervorragende Linguisten negativ über Esperanto?


Das größte Verständnis für die Komplexität einer Sprache haben die Linguisten. Vielleicht gerade deshalb können so viele von ihnen, im Übrigen äußerst kompetente Leute, nicht glauben, dass Esperanto als vollwertige, lebende Sprache funktionieren kann und daher Beachtung verdient und erforschenswert ist.


Sprachen sind etwas so komplexes und empfindsames, dass das Entstehen einer tatsächlichen, reichen, lebenden Sprache, gegründet auf das Projekt eines jungen Mannes (Zamenhof war 27 Jahre alt, als er nach 10jähriger Vorbereitungsarbeit Esperanto vorstellte.) als sehr unwahrscheinlich angesehen werden muss. Selbstverständlich hat man seine Vorbehalte. Aber wenn man die Realität betrachtet, stellt man fest, dass Esperanto erstaunlich gut für internationale Kommunikation geeignet ist.


11. Eignet sich Esperanto für Diskussionen auf hohem Niveau, für Poesie und für den Ausdruck von Gefühlen?


Ja. Poesie findet sich schon in der ersten Esperanto-Broschüre aus dem Jahr 1887. Es erscheinen regelmässig neue Gedichtsammlungen, und viele berühmte klassische Gedichte sind ins Esperanto übersetzt.


Schon alleine die Tatsache, dass es gute Übersetzungen der Monadentheorie von Leibniz, der Sonette von Shakespeare, mehrerer Tim-und-Struppi-Bücher von Hergé, des "Herrn der Ringe" von Tolkien, des "Khudhito Pashan" (Hungriger Stein) von Tagore, des "Tagebuches eines Verrückten" von Lu Xun, der Bibel, des Koran, der Analekten des Konfuzius gibt sowie dass fortlaufend viele poetische Werke erscheinen, beweist die Tauglichkeit des Esperanto für literarisches Schaffen.


Diskussionen gewinnen an Klarheit, Trennschärfe und Qualität, wenn alle Teilnehmer sich direkt in einer Sprache ausdrücken können, von der sie spüren, dass sie sie gut beherrschen und wenn alle Zuhörer unmittelbar das Gesagte verstehen können, weil auch sie sich in der benutzten Sprache zu Hause fühlen. Das belegen die umfangreichen Erfahrungen aus den alljährlichen "Universalaj Kongresoj" (Weltkongressen) und vielen anderen internationaler Treffen, Seminaren zu wissenschaftlichen Themen, Sommeruniversitäten usw., die jedes Jahr stattfinden und bei denen Unterricht, Diskussion und informelle Gespräche auf Esperanto geführt werden.


Die Geschichte berichtet von vielen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, die ihre Gefühle in Esperanto ausgedrückt haben, ob in Büchern, Liedern, Gedichten oder während der Begegnungen mit anderen Menschen. Wer am Leben der Esperanto-Gemeinde teilnimmt, weiß, dass man auf Esperanto sich gegenseitig beleidigen oder scharf diskutieren kann, aber auch seine Solidarität, seine Mitgefühl für das Leid anderer oder zutiefst empfundene Liebe ausdrücken kann.


12. Warum sollte man Esperanto lernen? Wie kann man die Sprache benutzen?


Wenn du dich für Esperanto interessierst und gerne mehr wissen möchtest, besuche die Seite http://lernu.net/enkonduko, dort findest du weitere Antworten auf die Fragen "Warum sollte ich Esperanto lernen?", "Wie kann ich die Sprache benutzen?" usw.